Heute morgen online gegangen: meine Deus Ex: Human Revolution Rezension beim TITEL:
Achtet man aber ein wenig mehr auf die Gespräche, so merkt man schnell, dass die schnelle Pheromon-Lösung zur Krücke wird. Der Spieler verlässt sich statt auf menschliche Intuition auf die sichere Maschinenlösung. Ein Gespräch ohne detaillierte Persönlichkeitsanalyse? Niemals! Schritt für Schritt wird der Wert des Spielers so gemindert. Wer spricht da noch? Adam Jensen oder die Maschine in seinem Kopf? [Link]
Und dann kritisiert gleichzeitig Ex-Gamestar Chefredakteur Christian Schmidt auf Spiegel.de in einem Artikel anhand der Deus Ex Kritik die deutsche (Mainstream-) Games-Presse und unterstellt ihr Ideenlosigkeit, fehlenden Mut und eine gnadenlos engstirnige Perspektive auf Spiele. Es ist ein wenig ein Manifest geworden, was Christian Schmidt da geschrieben hat:
Eine relevante Games-Kritik, die Impulse setzen, Leser ansprechen und den Diskurs um das Medium Videospiel bereichern will, braucht eine neue Ausrichtung.
- Sie muss aufhören, Spiele als Summe einzelner Teile zu begreifen. Sie muss ihren Blick auf das Ganze richten, den Kontext kennen und Einordnung geben.
- Sie muss intelligenter werden, sie muss die Funktionsbeschreibung zurückschrauben zugunsten der Interpretation. Sie muss ihre funktionalen Urteile über Spiele ergänzen durch ökonomische, politische, ethische, künstlerische und gesellschaftliche Urteile.
- Sie muss Plattformdenken ablegen und das Medium Spiel in all seinen Ausprägungen ernst nehmen.
- Sie muss neue Erzählweisen finden; sie muss Geschichten über Spiele erzählen, nicht nur Geschichten aus Spielen.
- Sie muss neue Themen aufspüren und journalistisch arbeiten, die muss Geschehnisse hinterfragen, recherchieren und eigene Gedanken entwickeln. Sie muss sich als Kontrollinstanz für ihre Branche verstehen, nichts als Erfüllungsgehilfe der Industrie.
- Sie muss, kurzum, der Bedeutung des Mediums Videospiel Rechnung tragen. Dazu gehört, das engagierte Laientum, mit dem sie kokettiert, abzulegen und sich endlich zu professionalisieren. [Link]
Damit hat er nicht ganz unrecht, und damit steht er bei weitem nicht allein. Cue: die Kritik. Christian Schmidt bringe einen “ganzen Berufsstand in Verruf“, die Art Berichterstattung, die sich Schmidt wünscht, die sei einfach nicht gefragt und würde nur von einer kleinen Elite genossen werden. Die “Spieler”, die “Leser”, die “merkwürdigen Gestalten” da draußen vor den Bildschirmen, die wollen keine Analysen, die wollen nicht die Philosophie hinter Doom, sondern Babes-Gallerien und 100 Zeichen, die sagen sollen, ob Deus Ex jetzt der heiße Scheiß ist, oder nicht. Kurz: die Leser wollen Spaß, kein intellektuelles Gebrabbel.
Das ist Blödsinn. Das ist ein Mythos, “the average reader”, der Idiot, der eure Texte liest und sich doch lieber eine Klickstrecke wünscht. Ja, es gibt genug Leser, die das so in Ordnung finden und es gibt genug Leser, die einfach nur wissen wollen, wann denn Space Marine rauskommt (heute). Aber es gibt genauso viele Leser, die mehr wollen. Für die ein Artikel über Spiele nicht nur ein Artikel über das nette Freizeithobby sein soll, sondern einfach auch ein guter Artikel. Ein lesenswerter Artikel, keine Spekulation über wie viele Waffen ein Spiel hat, wie viele Zombie-Typen es abzuschießen gilt oder ob die Xbox oder PS3-Version besser aussieht.
Und dann schreibt Kieron Gillen, die Gallionsfigur des guten Spielejournalismus, einen Artikel auf Rock, Paper, Shotgun über Deus Ex der allen Schmidtschen Kriterien entspricht. Eine spannende Auseinandersetzung mit den Themen von Deus Ex und der persönlichen Geschichte des Autors. Ein fabelhafter Artikel, für jeden interessant, der sich auch nur ansatzweise interessiert für digitale Kultur, für DRM, für Sozialkritik und für Spiele.
Ein Nischenartikel für eine kleine Elite? Fast. Rock, Paper, Shotgun haben ca. 1,3 Millionen Leser im Monat. Ja, natürlich hat das damit zu tun, dass sie auf Englisch schreiben, der Lingua Franca des Web, aber auch damit, weil sie gut sind. Weil sie Autoren wie Kieron Gillen die Plattform bieten, intelligente Artikel zu schreiben, weil sie ihre Leser ernst nehmen, weil sie Meet-Ups organisieren, weil sie einen Dialog hinkriegen und neben Trailern, auch fantastische Analysen schreiben. Kotaku, die öfter über Cosplay-Babes und japanische Manga-Figuren schreiben als über Spiele, haben sich mit Kirk Hamilton einen der besten Autoren geleistet, die im Moment über Spiele schreiben und Kill Screen bleiben einfach konsistent gut – egal ob in Print oder im Netz.
Ist das auf Deutsch nicht möglich? Ist es doch. Ich bin mir sicher. Das intelligente Schreiben über Spiele darf nicht als prätentiöses Murmeln aus dem Elfenbeinturm verstanden werden, sondern als Dialog und Diskurs, an dem Leser Interesse haben, wenn da herausscheint: das ist jemand, dem ich zuhören will. Das ist jemand mit einer Meinung, keine Rezensionsmaschine, die Wertungen ausspuckt für Metacritic. Kieron Gillen ist so eine Person. Christian Schmidt auch. Wir sollten also genau hinhören.