Ersteindruck: The Binding of Isaac

Super Meat Boy Erfinder Edmund McMillen hat ein neues Spiel gemacht! Ein Action-Roguelike-Dings namens The Binding of Isaac mit Weirdness-Faktor auf 11 und (der Titel sagt es schon) religiösen Untertiteln Das Ganze läuft diesmal nicht unter dem Team Meat Label, weil Partner Tommy Refenes schonmal am nächsten Spiel herumexperimentiert. Ich habe mir gestern The Binding of Isaac ein wenig angeschaut, und das sind meine Eindrücke (mehr dazu gibts dann hoffentlich nächste Woche beim TITEL-Kulturmagazin):

  • The Binding of Isaac ist ein verdammt schwieriges Action-Spiel in der Tradition von Roguelikes. Spieler steuern Isaac, einen kleinen nackten Helden, der von seiner religiösen Mutter in einen mit Monstern vollgestopften Keller treibt, um ihn an Gott zu opfern. Wink Wink Nudge Nudge. Isaac läuft von Raum zu Raum, kämpft gegen Monster und stirbt (wie auch in Super Meat Boy) viele, viele Tode, die diesmal ganz besonders schmerzen.
  • Weniger Wink Wink: Isaac wehrt sich gegen die fiesen Viecher indem er mit Tränen um sich schießt und Bomben wirft. In diesen Momenten ist Isaac deutlich inspiriert von Zelda…wenn die Monster in den Zelda-Spielen unglaublich beängstigende Höllenviecher wären.
  • Jeder Raum ist zufällig generiert und bietet unterschiedliche Belohnungen: ein drittes Auge, um mehr Tränenflüssigkeit zu schießen, ein tote Katze für 9 zusätzliche Leben, rote Pumps, um schneller zu laufen. Viele Gegenstände verbessern Isaac und modifizieren sein Aussehen. Das Problem: stirbt Isaac ist alles weg und das Spiel beginnt von vorne.
  • Das Roguelike-Prinzip macht Isaac zu einem äußerst spannenden Action-Spiel über die Spannung zwischen Risk/Reward: jeder Raum bietet potentielle Belohnungen, aber auch die Möglichkeit überfüllt zu sein von gehirnfressenden Todeszombies, an denen Isaac scheitert.
  • Großartig an Isaac: Jeder Gegenstand (seien es die Pumps, das Doktor-Diplom, oder der Dynamit-Gurt) werden am Charakter dargestellt. Ich möchte weiterspielen, um zu sehen, wie sich Isaac noch verändern kann. Das ist genau die Sache, die ich am ebenfalls tollen Dungeons of Dredmor bemängelt habe. Isaac wird dadurch immens motivierend.
  • The Binding of Isaac konzentriert sich somit fast komplett auf Charaktererstellung, weniger auf die Entdeckung der Welt (zumal auch noch die Einzigartigkeit jedes Isaacs durch roguelike-typisches Permadeath betont wird). Das funktioniert ausgezeichnet, so wichtig und stilprägend wie Super Meat Boy ist es natürlich nicht. Es ist ein kleines Spiel über das Entdecken von einzigartigen Artefakten und die visualisierte Reise des Spieler-Charakters. The Binding of Isaac hat klar abgesteckte Ziele und funktioniert ausgezeichnet in diesem Kontext.
  • Mit Edmund McMillen und Tommy Refenes habe ich übrigens für die aktuelle Ausgabe der Gamestar gesprochen, anschauen!
  • Spielen? Ja!

Intro: Bastion

Jetzt auch online bei der Intro, meine Rezension zu Supergiant Games wundervollem Bastion:

Mehr noch als der Erzähler sind es aber der fantastische Banjo-Soundtrack, das spaßige Kampfsystem und die überraschend ernste Story, die »Bastion« zu einem der schlicht besten Spiele des Jahres machen. [Link]

Stray Observations:

  • Bastion ist im Moment immer eines der interessantesten Spiel, das ich mir dieses Jahr angeschaut habe – und das trotz eigentlich recht simpler Spielmechaniken. Ich würde auch gar nicht sagen, dass Bastion Style over Substance demonstriert, eher, dass wenn das Spielprinzip nicht überladen ist, der Blick geschärft wird für den Rest. Die Musik, das Art Design, das Rumlaufen an sich. Sowieso: es macht Spaß einfach nur Sachen kaputtzuschlagen in Bastion.
  • Ich bin nicht ganz sicher, ob ich Bastion das Ende verzeihe. Ein gutes Ende ist schwierig, verdammt schwierig (siehe Deus Ex: Human Revolution), die Wahl, die ich am Ende von Bastion treffe ist eine Sache über die es zu sprechen lohnt. Ein Ende fordert ein erneutes Durchspielen geradezu heraus, ein anderes nicht. Ich habe mich für letzteres entschieden – und so sehr ich Bastion nochmal spielen möchte, ich kann es nicht. Das ist natürlich sentimentalster Blödsinn, aber eben auch der Grund, warum ich das Ende in diesem Fall so unglaublich stark finde.
  • Ich kann kaum glauben, dass ich erst durch Twitter richtig verstanden habe, was Zia’s Song bedeutet. Ich bin ein wenig langsam.

Zeit Online: Age of Empires Online und Free2Play

Neuer Artikel von mir bei der Zeit, es geht um Age of Empires Online und Free2Play-Spiele:

Nur Games, die wie das Onlinerollenspiel Star Wars: The Old Republic mit großen Markennamen oder wie The Secret World mit innovativen Spielideen aufwarten können, leisten sich noch das traditionelle Abo-Modell.

Die Herausforderung bei einem Kostenlos-Titel ist immer, Spieler davon zu überzeugen, dass das Bezahlen Vorteile für alle bringt, aber für niemanden Nachteile. So lange die Bezahlinhalte aus lustigen Hüten oder ein paar Blumenkübeln bestehen, ist das kein Problem. Wenn es sich dagegen um ganze Zivilisationen handelt, wird es schwierig. [Link]

Was ich sehr spannend am Thema Free2Play finde ist der (äußerst!) langsame Wandel in der kulturellen Wahrnehmung vom Wert eines Free2Play-Spiels. Vor einigen Jahren waren nur Nischentitel, Kopien oder gescheiterte MMOs “gratis”, inzwischen sind viele der Spiele, die ich persönlich sehr spannend finde, Free2Play. Firefall, Planetside 2, Team Fortress 2 und passenderweise wurde heute angekündigt, dass auch DC Universe Online keine Monatsgebühren mehr verlangen wird.

Es kann also keine Rede davon sein, dass die Spiele von Herstellern als Wegwerfprodukte gedacht sind. Als psychologische Kriegsführung mit Ziel der Eroberung der Kreditkartennummer…deiner Mutter. Age of Empires Online ist in Ordnung, es ist nicht innovativ (herrje, es ist praktisch Age II im MMO-Gewand), aber es ist in Ordnung. Es spielt sich gut, es macht Spaß und…die AI ist völlig daneben.

Interessant dann aber: in den Comments wird sehnlichst wieder die Zeit herbeigewünscht, wo Spiele für 40 Euro (oder 89 DM meinetwegen) gekauft wurden und fertig. Free2Play ist dabei der böse Eindringling. “Wie das ist gratis? Da ist ein Haken” – in vielen Fällen stimmt das leider. Ich glaube aber, das Modell Spieler auszubeuten, ist nicht zukunftsfähig. Oder…zukunftsfähig, aber auf Kosten des Rufs für Short Term Profit. Zynga hat immer noch damit “zu kämpfen” (sprich: es wird in der Presse regelmäßig auseinandergenommen), weil Farmville der Teufel ist. Und das obwohl die neueren Spiele überhaupt nicht schlecht sind. Aber das darf ja nicht gesagt werden. Ist ja gratis. Und auf Facebook. Und von Zynga!

Insofern: Free2Play wohl kaum mehr wegzudenken und wird nicht mehr für derivatives Design und psychologische Tricks stehen, sondern eben für State of the Art Multiplayer-Games. Ob das letztlich zu besseren oder schlechteren Spielen, zu besserem oder schlechterem Zugang oder zum Weltuntergang führt, das sehen wir dann halt.

 

Stray Observations:

  • das ist der dritte Artikel von mir auf Zeit Online, die ersten beiden gibt es hier und hier
  • Ben There, Dan That ist wirklich gut. Wirklich, wirklich, wirklich gut. Und gratis. Und hier.
  • Über den Sinn und Unsinn der Spielepresse wird heute auch auf Englisch debattiert: Arthur Gies sagt, dass es keinen Platz gibt für neue Autoren und Stuart Campbell wirft medienübergreifend institutionelle Korruption vor. Fein!

Gamestar: Schwere Entscheidungen

Ich habe für die August-Ausgabe einen Gamestar-Report über das Design von Entscheidungen und Moral in Spielen geschrieben. Das Ganze gibts jetzt (endlich!) online:

Doch wie denken sich die Entwickler diese Entscheidungen aus? Und warum ist die Entscheidung, wer ein magisches Kind erziehen darf, dann doch wieder so schwierig? Keine Belohnung, keine große Moral, keine dramatischen Duelle, nur zwei Frauen, ein Kind und für den Hexer Geralt die Aussicht auf ein Leben nach der Monsterjagd. Warum schaffen es Spiele wie The Witcher, mich stutzig zu machen, zu unbequemen Entscheidungen zu zwingen? Und warum gehen die meisten Entscheidungen, die ich in anderen Spielen treffe, so leicht von der Hand? [Link]

Stray Observations:

  • Gesprochen habe ich dafür übrigens mit Casey Hudson, Executive Producer von Mass Effect 3, und mit Sebastian Stepien, dem Lead Writer von Witcher 2. Beide sehr interessant!
  • Ich wollte eigentlich noch unbedingt mit Andy Chambers, dem Autor von Star Craft 2 sprechen, das…haut aber irgendwie nicht hin. Blizzard ist nicht so leicht zu erreichen. Hrm!
  • Rausgekürzt habe ich eine Passage, wo es um Aristoteles und die Nikomachische Ethik ging. Am besten erklärt vom Philosophy Bro.
  • Inspiration für den Teil, in dem es um StarCraft 2 ging war natürlich ein Artikel von Alec Meer.
  • Wie großartig ist denn bitte Witcher 2?
  • Mit Gamestar arbeiten ist übrigens äußerst angenehm und eine Wertung musste ich auch nicht abgeben (höhö).
  • Wie ich heute erfahren habe, kommt der Beitrag auch in einer kommenden Making Games Ausgabe.
  • Kleiner Nachtrag zur Spielekritik-Debatte:

    Bei Deutschlandradio gab es einen unglaublich interessanten Beitrag über Popjournalismus und Musikkritik. Im Sinne von: „die Popkritik hat ihre Relevanz verloren, wie gehts weiter?“ Da gab es dann Interviews mit vielen Bloggern, Musikjournalisten und Kritiken. Die „Debatte“ ähnelt aber tatsächlich sehr stark der um die Relevanz der Spielekritik. Laut Deutschlandradio hat die Musikpresse das Heft an die Zeitungsredaktionen, v.a. im Online-Bereich, abgegeben.

    Während Musikmagazine eine beträchtliche Seitenzahl darauf verwenden müssen, die neuesten Künstler kurz vorzustellen und sie dabei auch noch abfeiern müssen (Werbepartner und so), konnten Zeitungen frei vom Abhängikkeitsverhältnis zur Musikindustrie ein spannendes Pop-Feuilleton aufbauen.

    Seit Jahren fordern kritische Geister, der Musikjournalismus müsse sich erneuern, wolle er seine Relevanz zurückerobern. Fundierte Popkritik sei in den letzten Jahren ersetzt worden durch Service. [LinkPDF]

TITEL: Deus Ex und Manifestos

Heute morgen online gegangen: meine Deus Ex: Human Revolution Rezension beim TITEL:

Achtet man aber ein wenig mehr auf die Gespräche, so merkt man schnell, dass die schnelle Pheromon-Lösung zur Krücke wird. Der Spieler verlässt sich statt auf menschliche Intuition auf die sichere Maschinenlösung. Ein Gespräch ohne detaillierte Persönlichkeitsanalyse? Niemals! Schritt für Schritt wird der Wert des Spielers so gemindert. Wer spricht da noch? Adam Jensen oder die Maschine in seinem Kopf? [Link]

Und dann kritisiert gleichzeitig Ex-Gamestar Chefredakteur Christian Schmidt auf Spiegel.de in einem Artikel anhand der Deus Ex Kritik die deutsche (Mainstream-) Games-Presse und unterstellt ihr Ideenlosigkeit, fehlenden Mut und eine gnadenlos engstirnige Perspektive auf Spiele. Es ist ein wenig ein Manifest geworden, was Christian Schmidt da geschrieben hat:

Eine relevante Games-Kritik, die Impulse setzen, Leser ansprechen und den Diskurs um das Medium Videospiel bereichern will, braucht eine neue Ausrichtung.

  • Sie muss aufhören, Spiele als Summe einzelner Teile zu begreifen. Sie muss ihren Blick auf das Ganze richten, den Kontext kennen und Einordnung geben.
  • Sie muss intelligenter werden, sie muss die Funktionsbeschreibung zurückschrauben zugunsten der Interpretation. Sie muss ihre funktionalen Urteile über Spiele ergänzen durch ökonomische, politische, ethische, künstlerische und gesellschaftliche Urteile.
  • Sie muss Plattformdenken ablegen und das Medium Spiel in all seinen Ausprägungen ernst nehmen.
  • Sie muss neue Erzählweisen finden; sie muss Geschichten über Spiele erzählen, nicht nur Geschichten aus Spielen.
  • Sie muss neue Themen aufspüren und journalistisch arbeiten, die muss Geschehnisse hinterfragen, recherchieren und eigene Gedanken entwickeln. Sie muss sich als Kontrollinstanz für ihre Branche verstehen, nichts als Erfüllungsgehilfe der Industrie.
  • Sie muss, kurzum, der Bedeutung des Mediums Videospiel Rechnung tragen. Dazu gehört, das engagierte Laientum, mit dem sie kokettiert, abzulegen und sich endlich zu professionalisieren. [Link]

Damit hat er nicht ganz unrecht, und damit steht er bei weitem nicht allein. Cue: die Kritik. Christian Schmidt bringe einen “ganzen Berufsstand in Verruf“, die Art Berichterstattung, die sich Schmidt wünscht, die sei einfach nicht gefragt und würde nur von einer kleinen Elite genossen werden. Die “Spieler”, die “Leser”, die “merkwürdigen Gestalten” da draußen vor den Bildschirmen, die wollen keine Analysen, die wollen nicht die Philosophie hinter Doom, sondern Babes-Gallerien und 100 Zeichen, die sagen sollen, ob Deus Ex jetzt der heiße Scheiß ist, oder nicht. Kurz: die Leser wollen Spaß, kein intellektuelles Gebrabbel.

Das ist Blödsinn. Das ist ein Mythos, “the average reader”, der Idiot, der eure Texte liest und sich doch lieber eine Klickstrecke wünscht. Ja, es gibt genug Leser, die das so in Ordnung finden und es gibt genug Leser, die einfach nur wissen wollen, wann denn Space Marine rauskommt (heute). Aber es gibt genauso viele Leser, die mehr wollen. Für die ein Artikel über Spiele nicht nur ein Artikel über das nette Freizeithobby sein soll, sondern einfach auch ein guter Artikel. Ein lesenswerter Artikel, keine Spekulation über wie viele Waffen ein Spiel hat, wie viele Zombie-Typen es abzuschießen gilt oder ob die Xbox oder PS3-Version besser aussieht.

Und dann schreibt Kieron Gillen, die Gallionsfigur des guten Spielejournalismus, einen Artikel auf Rock, Paper, Shotgun über Deus Ex der allen Schmidtschen Kriterien entspricht. Eine spannende Auseinandersetzung mit den Themen von Deus Ex und der persönlichen Geschichte des Autors. Ein fabelhafter Artikel, für jeden interessant, der sich auch nur ansatzweise interessiert für digitale Kultur, für DRM, für Sozialkritik und für Spiele.

Ein Nischenartikel für eine kleine Elite? Fast. Rock, Paper, Shotgun haben ca. 1,3 Millionen Leser im Monat. Ja, natürlich hat das damit zu tun, dass sie auf Englisch schreiben, der Lingua Franca des Web, aber auch damit, weil sie gut sind. Weil sie Autoren wie Kieron Gillen die Plattform bieten, intelligente Artikel zu schreiben, weil sie ihre Leser ernst nehmen, weil sie Meet-Ups organisieren, weil sie einen Dialog hinkriegen und neben Trailern, auch fantastische Analysen schreiben. Kotaku, die öfter über Cosplay-Babes und japanische Manga-Figuren schreiben als über Spiele, haben sich mit Kirk Hamilton einen der besten Autoren geleistet, die im Moment über Spiele schreiben und Kill Screen bleiben einfach konsistent gut – egal ob in Print oder im Netz.

Ist das auf Deutsch nicht möglich? Ist es doch. Ich bin mir sicher. Das intelligente Schreiben über Spiele darf nicht als prätentiöses Murmeln aus dem Elfenbeinturm verstanden werden, sondern als Dialog und Diskurs, an dem Leser Interesse haben, wenn da herausscheint: das ist jemand, dem ich zuhören will. Das ist jemand mit einer Meinung, keine Rezensionsmaschine, die Wertungen ausspuckt für Metacritic. Kieron Gillen ist so eine Person. Christian Schmidt auch. Wir sollten also genau hinhören.